Wunsch und Wirklichkeit: wann tut der Spagat nicht mehr weh?
Stephan Schneider, stv. BRS-Geschäftsführer, Dirk Huhne, Dr. Nora Hammer, BRS-Geschäftsführerin, Dr. Hans-Peter Schons (ADT), Dr. Daniel Kofahl (APEK), Oliver Numrich (BLE), Georg Geuecke, BRS-Vorsitzender
Die diesjährige Fachtagung des Bundesverbandes Rind und Schwein e.V. (BRS) am 22. April in Leipzig beschäftigte sich mit dem Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, der sich ergibt, wenn die gesellschaftlichen Erwartungen nicht mit den landwirtschaftlichen Realitäten im Einklang steht. Der BRS-Vorsitzende Georg Geuecke zeigte Verständnis für friedliche Bauernproteste und bedankte sich ausdrücklich bei den Landwirten, die die Gesellschaft für die Sorgen einer Branche zu sensibilisieren verstanden und in Gesprächen mündeten. Das ist der einzig gangbare Weg für wirksame Änderungen. Jetzt sei die Politik am Zug.
Die Weichen werden in Europa gestellt
Dr. Hans-Peter Schons, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierzüchter e.V. berichtete über die bisherigen Fortschritte bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategien der EU und worauf sich die Tierhalter einstellen sollten. Dabei bescheinigte Dr. Schons dem EU-Ansatz zum Umbau der Lebensmittelsysteme grundsätzlich gute und richtige Ziele, allerdings mit vielen offenen Fragen. Diese betreffen insbesondere die völlig ungeklärte Finanzierung ebenso wie eine effektive Unterbindung nationaler Sonderwege. Außerdem fehle eine Folgenabschätzungen für den Tierhaltungssektor. Wir sehen die Notwendigkeit zur Transformation und haben bereits damit begonnen
, so der Experte,wir müssen aber auch erkennen, dass die Mühlen in Brüssel langsam mahlen und die weitere Entwicklung stark von den Europawahlen und einer neuen EU-Kommission abhängen werden.
Die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit sind nicht notwendigerweise Gegensätze, aber es muss künftig besser gelingen, die Zielkonflikte zwischen und innerhalb der Dimensionen aufzulösen, um die Akzeptanz zu stärken. Ansonsten könnten wir die Ziele in allen Bereichen verfehlen. Er ging auch auf die Wirkung der Bauernproteste für die Arbeit der EU-Institutionen in Brüssel ein und warb sowohl für den Dialog der Branche auf europäischer Ebene als auch eine fachliche deutsche Beteiligung bei der Entstehung von Richtlinien und Verordnungen. Sie entfalten ihre Wirkung unmittelbar für die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft.
Gesellschaftliche Erwartungen nicht ignorieren
Der Soziologe Dr. Daniel Kofahl, Gründer des Büros für Agrarpolitik und Ernährungskultur, thematisierte die Problematik, dass sich Landwirte in Deutschland gegenwärtig mit widersprüchlichen Erwartungen und Konsumpraktiken konfrontiert sehen. Dabei riet Kofahl, Umfragen zum Ernährungsverhalten und zur Bereitschaft mehr Geld für Bio- oder Tierwohlprodukte ausgeben zu wollen, mit Vorsicht zu genießen. Die Antworten orientieren sich häufig am gesellschaftlich Erwünschten und weniger an persönlichen Notwendigkeiten, also dem eigenen Geldbeutel.
Es sei auch ein Irrglaube, dass mit höheren Preisen automatisch eine höhere Wertschätzung verbunden sei. Personen außerhalb der Landwirtschaft besitzen eine Vielzahl von Einstellungen zur Landwirtschaft – haben aber immer weniger oder gar keinen Kontakt mehr zur Landwirtschaft und Landwirten. Dr. Kofahl appellierte an die Zuhörer: Auch wenn die Landwirtschaft keine eierlegende Wollmilchsau sein kann, darf sie aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses die gesellschaftlichen Erwartungen nicht ignorieren.
Hierfür sei eine konstruktive Metaerzählung abseits von reinem Faktenwissen notwendig.
Eine erfolgreiche Kommunikation zu hochmoderner Tierhaltung und Lebensmittelproduktion sollte neben dem Know How des Praktikers und Faszination für technischer Effizienz auch kulturelle, soziale und ästhetische Aspekte stärker berücksichtigen,
riet der Soziologe den 200 Zuhörern.
Die deutsche Landwirtschaft ist wichtiger Partner für die deutsche Ernährungsindustrie
Oliver Numrich, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, BVE
Oliver Numrich, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, BVE, informierte über die aktuellen Herausforderungen der Deutschen Ernährungsindustrie am Standort Deutschland und zog Parallelen für ein erfolgreiches Lobbying auch für die Landwirtschaft.
In seinem Vortrag ging er u.a. auf die Bedeutung von Fleisch für die deutsche Ernährungsindustrie ein - ein Fünftel des Gesamtumsatzes in Höhe von rd. 220 Mr. Euro stammt aus Fleisch und Fleischprodukten; er machte aber auch auf die Folgen deutlich gesunkenen Schlachtzahlen für den Preis für Verarbeitungsfleisch und die Erträge aufmerksam. Verbraucherpolitische Entscheidungen wie die Haltungskennzeichnung oder eine Herkunftskennzeichnung bedeuten nicht nur auf der Seite der staatlichen Überwachung erheblichen Aufwand für Dokumentations- und Kontrolltätigkeiten, sondern auch für die Unternehmen einen weiteren deutlichen Zuwachs der Belastungen durch Bürokratie
. Trotz des Verzehrsrückgangs beim Schweinefleisch, ist die Nachfrage des Verbrauchers nach Wurstwaren und Schinken stabil. Gegessen und getrunken wird immer
, erinnerte Numrich. So lange die Bevölkerung konstant bleibt, entwickelt sich der Umsatz mit der Inflation. Abrupte Konjunkturschwankungen sind relativ selten
. Auch die Ernährungsindustrie hat mit gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu kämpfen. Sie sei aber auch Treiber für gesellschaftliche Themen. Durch eine gezielte Förderung von nachhaltigen Produktionsverfahren und die Entwicklung einfacher Nachhaltigkeitsstandards soll die Branche ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich sein. Das schaffe man nur gemeinsam mit den Erzeugern.
Gegen Werbeverbote für Lebensmittel reagierte die Branche mit einem wissenschaftlichen Gutachten und der Kampagne www.lieber-mündig.de.
Mit der Kampagne www.lieber-zu-ende-denken.de will der Verband auf die Bedeutung eines funktionierenden europäischen Binnenmarktes aufmerksam machen und wirbt für eine Wahlbeteiligung. Die Europäische Union ist der Heimatmarkt der deutschen Ernährungsindustrie und ein Garant für Frieden und Freiheit, Demokratie und Wohlstand. Die Wahl zum Europäischen Parlament am 9. Juni 2024 muss diese Werte fördern. Nur ein geeintes Europa ist auf multilateraler Ebene verhandlungsstark
, warb Numrich für die Kampagne. Davon profitieren auch die deutschen Landwirte.
Auch in schwierigen Zeiten gibt es Betriebschancen
Der 53-jährige Dirk Huhne ist Landwirt und Milchviehzüchter. Er bewirtschaftet den elterlichen Betrieb mit Ackerbau (Raps, Getreide, Mais und Grünfutter) und 200 Milchkühen in Bergfeld, im nordöstlichen Schleswig-Holstein, in dritter Generation. Darüber hinaus ist er GbR-Partner beim Milchhof Gut Parchim, einem Betrieb mit 900 Kühe und 2000 ha und Firmengründer der LAHH Freie Milch GmbH, einem Zusammenschluss von Milchproduzenten, die ihre Milch am freien Markt vertreiben. Mit anderen Landwirten ist er Anteilseigner der Landmolkerei Hagenow. Er ist zudem bekannter Züchter, dessen Tiere regelmäßig prämiert werden. Er startete seinen Vortrag mit den zahlreichen Herausforderungen, die sein Berufsleben begleitet haben, aber nie dazu führten, den Kopf in den Sand zu stecken. Wenn wir nur jammern, verschrecken wir unsere Hofnachfolger,
warnte Huhne. Optimismus, Fleiß, Liebe und Leidenschaft
– kurz OFLL – waren mein Antrieb und ständiger Begleiter. Der Landwirt musste aber auch selbstkritisch eingestehen, dass man unternehmerische Chancen nur erkennen kann, wenn man die Zeit zum Denken findet. Voraussetzung dafür seien motivierte Mitarbeiter und ökonomisch wie arbeitswirtschaftliche einwandfrei funktionierende Betriebsabläufe.
Vom Denken zum Tun erfordert Zeit, Kapital sowie die Bereitschaft zum Risiko. Huhne appellierte an die Zuhörer:
Neue Chancen und Ideen umzusetzen kann einsam mache. OFLL wird aber bei der Umsetzung helfen."
Nicht auf die Politik warten, selber machen
Georg Geuecke bedankte sich nach der Podiumsdiskussion bei den Vortragenden und den Teilnehmern der Fachtagung. Von Kollegen, die sich von schlechter Stimmung nicht anstecken lassen, kann man immer lernen
, zeigte sich Geuecke überzeugt. Dr. Schons habe die Bedeutung eines starken Dachverbandes für die Mitgestaltung auf europäischer und nationaler Ebene deutlich gemacht. Numrich konnte glaubhaft belegen, dass sich die Ernährungsindustrie nicht als Gegner, sondern Partner für gemeinsame Ziele versteht und Qualität aus Deutschland zu schätzen weiß. Die Impulse eines Soziologen für eine erfolgreiche Kommunikation werde man aufgreifen.
Im Anschluss an seine Fachtagung ludt der der BRS seine Mitglieder und Gäste zu einem ganz besonderen Grillevent im Rahmen des Kampagnenmonats AGRILL - Gemeinsam Genießen
ein.